Skip to content

Barrierefreiheit und Inklusion beim ORF

 

"Inklusives Design und barrierefreie Angebote sind für uns alle relevant"

 

Im Rahmen des STADIEM* Programms kooperiert der Österreichische Rundfunk (ORF) und das Hamburger Startup aiconix zur gemeinsamen Entwicklung einer Speech-to-Text Lösung mit automatisierter Erkennung österreichischer Dialekte.

Im Interview mit Lisa Zuckerstätter: Zuckerstätter war 3 Jahre Leiterin der ORF-TVthek war und ist seit 2020 Hauptverantwortliche im neu geschaffenen Bereich “Access Services”. In dieser Funktion will sie die Barrierefreiheit der Programme im ORF vorantreiben.

 

Welche Formen von Barrierefreiheit sind Ihrer Meinung nach in der Medienwelt dringend notwendig?

 

Für Bewegtbild sind Untertitel ganz klar essenziell.

In Österreich leben rund 450.000 Menschen mit einer dauerhaften Hörbeeinträchtigung. Ohne Untertitel können sie Videoinhalte nur sehr schwer nachvollziehen. Vor allem im Informationsbereich ist es wichtig, dass ein Großteil der Bevölkerung den übermittelten Content versteht. Indem der ORF seine wichtigsten Nachrichtensendungen mit Live-Untertiteln ausstattet, nimmt er hier eine wichtige Rolle bei der Informationsverbreitung ein. Besonders in Krisenzeiten ist das ein wesentliches Asset und am österreichischen Medienmarkt fast ein Alleinstellungsmerkmal.

Aber – auch viele hörende Menschen wollen auf die angebotenen UTs nicht mehr verzichten. Ob im Office, in der U-Bahn oder daheim vor dem Fernseher – Studien zeigen, dass immer mehr Menschen (vor allem Jugendliche) absichtlich den Ton ausgeschaltet lassen. Auch Menschen, die gerade Deutsch lernen, verwenden gerne Untertitel.

Uns geht es in erster Linie um Menschen mit einer Behinderung, die ohne UT von der „bewegten“ Medienwelt nahezu ausgeschlossen wären. Aber zu wissen, dass der Adressatenkreis dieser Services deutlich größer ist und mit jedem Jahr wächst, motiviert bei der Arbeit besonders stark.

Nicht weniger wichtig als die Untertitelung ist die Audiodeskription. Sie hilft Menschen mit einer Sehbehinderung, Bildinhalte besser nachvollziehen zu können, indem Sprechpausen für eine akustische Beschreibung des Szenenbilds genutzt werden. Für die rund 318.000 in Österreich lebenden Menschen mit einer Sehbehinderung ist die Audiodeskription als Stütze sehr wertvoll.

Für blinde und sehbeeinträchtige Menschen spielen auch die Web Accessibility Guidelines eine wesentliche Rolle. Barrierefreie Web-Angebote sollen von allen Nutzer:innen unabhängig von ihren Einschränkungen oder technischen Möglichkeiten genutzt werden können. Die Prüfung und Herstellung der Barrierefreiheit ist im ORF bei neuen Produkten ein Standard-Projekt-Prozess. Ältere Seiten werden ebenfalls laufend überprüft und gegebenenfalls angepasst.

Neben Services für unser hör- bzw. sehbehindertes Publikum ist es nur konsequent, auch ein Angebot für Menschen mit einer Lernbehinderung zu haben. Der ORF bietet täglich „Nachrichten in Einfacher Sprache“ in einem seiner Angebote (z.B. news.ORF.at, ORF III, Radio Wien, Radio Steiermark).

Nachrichten in Einfacher Sprache (NIES) machen es nicht nur Menschen, die Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben haben einfacher, das Nachrichtengeschehen zu verfolgen – auch Kinder, ältere Menschen oder Personen, die Deutsch nicht als Muttersprache haben, wird dadurch geholfen, an aktuelle Informationen zu gelangen. Wir werden immer älter und Kinder nutzen immer früher Medien. Ist es daher nur logisch, auch hier ein Angebot zu haben.

 

Was tut der ORF bereits heute für die digitale Inklusion von Menschen?

Wie bereits durch die vorherige Frage beantwortet – der ORF tut sehr viel für Inklusion. Wie wir aus Erfahrung wissen, ist die Bereitstellung von UT, AD, NIES oder die barrierefreie Gestaltung unserer Online-Auftritte nicht nur wichtig, um Menschen mit einer dauerhaften Behinderung zu erreichen. Statistisch gesehen sind die meisten Menschen irgendwann im Laufe ihres/seines Lebens auf (technische) Unterstützung angewiesen. Sei es, weil sich jemand beim Ski-Fahren den Arm bricht, eine längere Krankheit dazu führt, dass selbst kleine Alltagsaufgaben (wie Fernsehen oder im Internetsurfen) zur Herausforderung werden oder man schlichtweg ein Kleinkind den ganzen Tag durch die Gegend trägt und man immer nur eine Hand frei hat – inklusives Design und barrierefreie Angebote sind für uns alle (irgendwann) relevant.

 

Wie ist die Zusammenarbeit mit aiconix zustande gekommen, was genau beinhaltet diese und was erwarten Sie sich vom Output?

 

Eine Kollegin, die sehr technologieaffin ist, hat uns den Tipp gegeben, sich mit aiconix in Verbindung zu setzen. Und so ist der ORF mit aiconix Ende des vergangenen Jahres eine Kooperation eingegangen, die vorsieht, dass der ORF Daten in Form von audiovisuellen Inhalten gepaart mit den dazugehörigen Texten (z.B. Transkripte) an aiconix übermittelt. aiconix trainiert mit dem Material ihre Spracherkennungssoftware. Ziel ist es (vereinfacht gesagt), dass auch österreichische Dialekte von der Spracherkennungssoftware richtig erkannt und transkribiert werden. Dadurch soll es irgendwann möglich sein, großflächig automatisch Untertitel und/oder Transkripte von Inhalten mit Dialekten zu erstellen.

 

Nutzen Sie bereits jetzt Lösungen von aiconix und wenn ja, welche?

Derzeit nutzen wir eine Lösung von aiconix, mit deren Hilfe wir automatische Live-Untertitel im Online-Bereich zur Verfügung stellen. Die Software kommt nur bei Pressekonferenzen zum Einsatz, da das Setting einer PK (ruhige Umgebung, klare Aussprache der Teilnehmer:innen etc.) sich günstig auf der Ergebnis auswirkt. Wir sind noch in einer Pilotphase, wo wir die PKs redaktionell begleiten. Das heißt, dass eine Redakteurin bzw. ein Redakteur das Geschehen monitort und bei groben Erkennungsfehlern eingreift und die Wörter ausbessert, bevor sie online gehen. Zu diesem Zweck wird der Stream wenige Minuten zeitversetzt ausgestrahlt. In einem nächsten Schritt könnten die PKs „unbegleitet“ untertitelt werden – das geht aber frühestens, wenn wir die Software selbstständig mit Eigennamen, z.B. Omikron, 2,5-G-Regeln, im Vorfeld „trainieren“ können, damit die Erkennungsgenauigkeit steigt.

 

Welche Lösungserweiterungen / Features würden Sie sich zukünftig von aiconix wünschen?

Neben der Erkennung von österreichischen Dialekten wäre eine Übersetzungsleistung wünschenswert. Es wäre großartig, Videoinhalte in die hierzulande meistgesprochenen Sprachen (Serbo-Kroatisch, Ungarisch, Slowenisch, Türkisch etc.) mittels Untertitel übersetzen zu können, um auch Angehörige dieser Gruppen mit unseren Informationen erreichen zu können.

 

 

* Das Projekt STADIEM (Startup Driven Innovation in European Media) wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union unter der Finanzhilfevereinbarung Nr. 951981 gefördert.

 

Leave a Comment